Sonntag, 24. Oktober 2010

Hans Sahl: Die Wenigen und die Vielen (Luchterhand)

Auch dieses Buch, der einzige Roman von Hans Sahl, berichtet vom Erlebnis Exil: Als die Nazis an die Macht kommen, muss Georg Kobbe um sein Leben fürchten - ein Berliner Dichter, der die falschen Freunde hat, die falschen Bücher gelesen und geschrieben hat, und obendrein Jude ist.
Durch halb Europa gehetzt und gejagt, kann er schließlich in die USA entkommen. Doch dort stellt er fest, dass dieses Asyl ihm nicht zur zweiten Heimat werden wird. Das liegt zum einen daran, dass es unendlich schwierig für den Schriftsteller ist, in dieser fremden Welt zu überleben. Zum anderen liegt es daran, dass Kobbe sich in erster Linie im Kreise seiner Landsleute bewegt - und diese setzen, so zeigt sich, die alten Debatten in der Neuen Welt fort. Da streiten sich Anarchisten, Kommunisten, Stalinisten und auch Sozialdemokraten fröhlich weiter, als fiele nicht soeben Europa in Trümmer. 
Es ist ein Reigen unseliger Geister, der da durch New Yorker Hinterzimmer spukt - und der Leser, der sich beim Treffen mit diesen Gespenstern kräftig gruselt, sieht urplötzlich die deutsche Nachkriegsgeschichte mit ganz anderen Augen. Denn die Perspektive dieses Georg Kobbe hilft dem Nachgeborenen, so manches zu verstehen, was man bisher eher kopfschüttelnd  im Geschichtsbuch zur Kenntnis genommen hat. 
Ein grandioses Buch, das auch stilistisch so manche Überraschung bietet. 

Prädikat: *****

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