Montag, 24. Oktober 2016

Claudia Weiss: Rattenfängerin (Knaur)

Hamburg im Jahr 1713, während des Nordischen Krieges: Der Feind steht vor den Toren, Flüchtlinge drängen sich überall, und obendrein bricht in der Stadt die Pest aus. Geplagt von Hunger, Not und Ungewissheit, suchen die Menschen nach Halt und Orientierung. Religiöse Fanatiker und zwielichtige Gestalten haben ein leichtes Spiel. Als allerdings tote Kinder aufgefunden werden, die keineswegs an der Pest gestorben, sondern unübersehbar geschändet worden sind, greift die Obrigkeit ein. Denn eine Pastorentochter zu entführen, um sie zu einem solchen „Engelskind“ zu machen – das geht dann doch zu weit. Mit viel Phantasie und einigen Fakten hat Claudia Weiss einen spannenden historischen Roman um den großen Brand von Altona und die letzte Pestepidemie in Hamburg geschrieben; man könnte das Buch beinahe einen Krimi nennen. 

Prädikat: **

Sabine Eichhorst: Die Liebe meines Vaters (Knaur)

Als Loris Schorb 1930 in Budapest aus dem Zug steigt, ist er überwältigt von der Stadt mit ihren vielen Brücken, dem pulsierenden Leben und den freundlichen Menschen. Immer wieder reist er an die Donau – bis dann der Krieg zu Entscheidungen zwingt. 
Ende der 50er Jahre verliebt sich in München die junge Maria in den Ungarn Dénes. Als sie ihm eines Tages alte Familienfotos zeigt, erkennt er darauf seine Tante Éva. Der Mann an ihrer Seite ist Marias Vater Loris. Doch er ist im Krieg verschollen, und daher müssen die jungen Leute versuchen, auf anderem Wege Antworten auf die vielen Fragen zu finden, die sich für sie aus diesem Foto ergeben. Die Geschichte einer großen Liebe, die leider nicht glücklich endet, gekonnt erzählt von Sabine Eichhorn.

Prädikat: ***

Mittwoch, 19. Oktober 2016

Klüpfel / Kobr: Himmelhorn (Droemer)

Ausnahmezustand herrscht bei Kommissar Kluftinger – schließlich steht die Geburt seines Enkels unmittelbar bevor. Dazu kommt eine fette Ehekrise bei Doktor Langhammer, in die er gegen seinen Willen mit hineingezogen wird. Zu allem Überfluss interessiert sich plötzlich auch noch seine Chefin für die Weiterbildung bei der Kripo Kempten, und hat spontan eine Maßnahme zur Stärkung des Teams angeordnet. 
Dieses Chaos wird abgerundet durch eine Entdeckung, die Kluftinger bei einer Radtour macht, zu der ihn Langhammer genötigt hat: Am Himmelhorn sind drei Bergsteiger abgestürzt und dabei zu Tode gekommen. Da der Gipfel als gefährlich gilt, wird zunächst ein Unfall angenommen. 
Doch bei seinen Ermittlungen kommen Dinge ans Tageslicht, die den Kult-Kommissar zunehmend an dieser Version zweifeln lassen. Denn unter den Toten ist ein bekannter Filmemacher, dessen Ableben seinen Geschäftspartnern gerade erstaunlich gut ins Konzept passt. Außerdem stößt Kluftinger auf eine alte Fehde zwischen zwei Bergführer-Dynastien. 
Auch der neunte Fall der Bestseller-Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr überrascht durch sein gänzlich unerwartetes Finale. Vorher gibt es viel Situationskomik, eine große Portion Selbstironie – was die Geschichte aus dem großen Meer der Regionalkrimis deutlich heraushebt – und natürlich die krimi-übliche Spannung. Sehr gelungen!

Prädikat: ****

Manuela Reibold-Rolinger: Das war im Plan nicht eingezeichnet (Knaur)

Rechtsanwältin Manuela Reibold-Rolinger hat sich auf die Beratung von Bauherren spezialisiert – „Verbraucher“, ganz normale Leute also. Viele von ihnen sind durch ihr Bauvorhaben in existenzbedrohende Nöte geraten. In diesem Buch hat die Anwältin, bekannt durch die Sendung „Die Bauretter“ auf RTL II, krasse Fälle zusammengestellt. Der Leser trifft auf skrupellose Makler, arrogante Banken und Baufirmen, die ahnungslose Familien hemmungslos über den Tisch ziehen. 
Man staunt allerdings auch darüber, wie blauäugig viele Bauherren ihre Bauvorhaben starten. Da werden Verträge ungeprüft unter- schrieben, für Bauleistungen werden nicht einmal Angebote eingeholt, und auch einen Fachmann, der den Handwerkern im Auftrag der Häuslebauer penibel auf die Finger schaut, spart man sich gern. Bis dann das böse Erwachen kommt. Wer sich schon immer einmal richtig gruseln wollte, dem sei dieses Buch empfohlen – der reinste Horror! 

Prädikat: ***

Mittwoch, 12. Oktober 2016

Jussi Adler-Olsen: Erlösung (dtv)

Eine Flaschenpost bringt die Ermittler auf die Spur. Das verblasste Schriftstück gelangt ins Sonderdezernat Q in Kopenhagen – wo Carl Mørck und sein Assistent Assad es erstmals genau untersuchen. Das Resultat ist schockierend: Die Materialanalyse zeigt, dass die Botschaft mit menschlichem Blut geschrieben wurde. Mühsam, Buchstabe für Buchstabe, wird der Text entziffert. Er erweist sich als verzweifelter Hilferuf, abgeschickt von entführten Kindern, die allerdings nie als vermisst gemeldet worden sind. Die Recherchen der Kriminalisten führen in tief religiöse Kreise – und zu einem Massenmörder, der die Wagenburgmentalität dieser Menschen geschickt für seine Zwecke ausnutzt. Dieser Thriller von Jussi Adler Olsen ist in jeder Hinsicht gruslig; der Irrsinn, der die Handlung bestimmt, scheint auch die Figuren mehr und mehr zu ergreifen. Der dritte Fall für Carl Mørck kann rundum überzeugen – und der Leser wünscht sich mehr davon. 

Prädikat: ****

Tanja Weber: Die Frauen meiner Familie (Droemer)

Das Bild auf dem Dossier kennt Elsa nur zu gut. Es handelt sich um ein Gemälde, das früher in der Wohnung ihrer Großeltern hing, und ihre Urgroßmutter Anneli Gensheim darstellen soll. Die Kunst- historikerin soll einem Diebstahl nachgehen; ihr Vater hatte das Bild vor einigen Jahren „vertickt“, wie er selbst sagt. Es gehört nun einem Sammler, und wurde aus einer Ausstellung geklaut. 
Eigentlich könnte Elsa es damit gut sein lassen. Doch dann begibt sie sich auf die Suche nach dem verschwundenen Bild. Dabei findet sie immer mehr über in ihre eigene Familiengeschichte heraus – die durchaus ihre dunklen Flecken aufweist. Tanja Weber ist, inspiriert durch die Sammlung von Cornelius Gurlitt, ein spannender Kunstkrimi gelungen. Auch wenn sie bei der Zeichnung ihrer Figuren manchmal in Klischees gerät, folgt man ihr gern durch die Jahre – bis hin zum nicht mehr ganz unerwarteten Finale in der Gegenwart. 

Prädikat: ***

Dienstag, 11. Oktober 2016

Lilli Gruber: Der Sturm (Droemer)

Hella Rizzoli muss sich entscheiden: Wenn sie weiter auf dem Gut ihrer Familie in Südtirol leben will, dann wird sie zwangsweise zur Italienerin. Die Optanten, die sich dafür entschieden haben, Deutsche zu bleiben, müssen die Heimat verlassen. Sie werden umgesiedelt – was jedoch nicht immer positiv verläuft, wie sich allmählich herumspricht. Die Männer ziehen in den Krieg. Und die Frauen müssen die Lasten jener harten Jahre allein tragen. 
Lilli Gruber hat in diesem Roman aufge- schrieben, wie ihre Familie die Kriegsjahre erlebte. Dabei konnte sie auf zahlreiche Dokumente zurückgreifen. Denn Hella Rizzoli war die Großtante der Journalistin. Ihr Schicksal zeigt, warum viele Südtiroler große Hoffnungen auf Hitler setzten – und wie hart sie sich damit täuschten. 
Die Autorin hatte bereits in Das Erbe auf die Auswirkungen der Teilung Tirols nach dem Ersten Weltkrieg aufmerksam gemacht. In Der Sturm erzählt sie erneut auf höchst lebendige Weise europäische Geschichte, die außerhalb der betroffenen Region bislang wohl nur von Historikern wahrgenommen worden ist. 

Prädikat: ****

Iny Lorentz: Die Fürstin (Knaur)

Fürst Carl Anton von Saalstein-Tresskau muss heiraten – doch weil er einen extrem schlechten Ruf hat, muss sein Vertrauter Philipp von Zinggen sehr weit reisen, um eine Braut zu finden. Im tiefsten Franken wird er wohlwollend aufgenommen; die Ostheim-Veldenburgs sind zwar von altem Adel, aber sie können nicht wählerisch sein, denn sie haben acht Töchter, und keinerlei Vermögen. Charlotte, lang aufgeschossen und eher knabenhaft, muss sich daher glücklich schätzen, überhaupt einen Bräutigam zu bekommen. 
Das Autorenpaar, das unter dem Pseudonym Iny Lorentz bereits etliche erfolgreiche Historienromane veröffentlicht hat, erzählt in diesem Buch die Geschichte einer Ehe, die als Zweckbeziehung beginnt. Doch die junge Fürstin erobert in ihrer handfesten Art rasch nicht nur die Herzen ihrer Untertanen. Dieses Glück allerdings gerät in große Gefahr; Carl Anton fällt einem Attentat zum Opfer, und auch Charlotte kann nur knapp entkommen. Wie es ihr gelingt, mit hohem persönlichen Einsatz und geschickter Politik das Fürstentum zurückzuerobern und die Herrschaft derer von Saalstein-Tresskau zu erhalten, das wird von den Autoren spannend geschildert – und dem Leser ermöglicht der Roman obendrein einen Rundblick auf die europäische Bühne jener Zeit, bis hin zum Kaiserhof. 

Prädikat: ***

Chris Holm: So was von tot (Knaur)

Das perfekte Verbrechen ist sein Beruf: Michael Hendricks ist ein Auftragskiller-Killer. Er kennt die Abschussliste des organisierten Verbrechens. Sein Geschäftsmodell: Zahle mir zehnmal soviel, wie der Killer bekommt, der auf dich angesetzt ist, und ich räume ihn aus dem Weg. Etliche Jahre hat das bestens funktioniert. Doch dann wird Hendricks selbst zum Gejagten. Der Auftragsmörder, der ihm auf den Fersen ist, will in den Geschäft der beste sein, und er kennt keinerlei Skrupel. Eine verrückte Story, die dem Leser schlaflose Nächte bereitet – garantiert! 

Prädikat: ****

Sonntag, 9. Oktober 2016

Lena Johannson: Sanddornsommer (Knaur)

Franziska, junge und dynamische Beraterin aus Hamburg, hilft ihren Mandanten, festfahrenen Situationen zu entkommen und ihr Leben zu ändern. Nun nimmt sie eine Auszeit auf Rügen – und stellt dabei fest, dass auch sie Veränderung gut brauchen kann. Da wäre zum einen Biobauer Niklas, in den sie sich Hals über Kopf verliebt. Er hat aber einen Bruder, Jürgen, der sie fatal an den geliebten Bruder ihrer ersten Lebensjahre erinnert. Allerdings verschwand er dann plötzlich, und Franziskas Eltern haben immer geleugnet, dass es ihn je gegeben hat. 
Ein toller Plot, aus dem Lena Johannson dann aber leider nur eine höchst mittelprächtige Geschichte zu machen versteht, mit ganz viel Sanddorn und Rügen-Lokalkolorit. Als Roman gestartet, als Unter- haltung gestrandet. Schade. 

Prädikat: *

Freitag, 7. Oktober 2016

Luis Sellano: Portugiesisches Erbe (Heyne)

Henrik Falkner, ein ehemaliger Polizist, reist nach Lissabon. Dort soll er ein geheimnisvolles Erbe antreten: Sein Onkel, den er nie kennengelernt hat und über den in der Familie geschwiegen wurde, hat ihm ein Haus nebst Antiquariat vermacht. Noch während er aber darüber nachdenkt, ob er dieses Vermächtnis überhaupt haben will, wird auf ihn ein Anschlag verübt. Und im Laden stellt er fest, dass sein Onkel Spuren gelegt hat – zu Verbrechen, die nie aufgeklärt wurden. Ein packender Krimi, voll Atmosphäre. „Luis Sellano“, ein deutscher Autor, der unter Pseudonym publiziert, verbindet hier seine offensichtliche Liebe zur Altstadt von Lissabon mit einer abenteuerlichen Story. 

Prädikat: ***

Marie Cristen: Der Blutfluch (Knaur)

Die kleine Aliza wird von Zigeunern gerettet, als ihre Mutter sich in einem reißenden Fluss ertränkt. Mit dem Stamm reist sie umher. Doch als die Sippe bei Barbarossas Hochzeit in Würzburg ihr Lager aufschlägt, hat das nicht nur für Aliza unerwartete Folgen. Die „blonde Ägypterin“ fällt dem Adel auf, und sie gerät mitten hinein in Hofintrigen. 
Das Blutmal aber, das sie im Nacken trägt, wendet schließlich ihr Geschick – denn es ist das Zeichen der Zähringer. So findet Aliza ihren Vater, sie erhält eine reiche Mitgift, wird verheiratet und mitsamt Ehemann nach Burgund geschickt, in ihre ursprüngliche Heimat. Politik ändert alles, so lehrt dieser Historienroman von Marie Cristen, aber für die Betroffenen ist das keine angenehme Erfahrung. 

Prädikat: **

Donnerstag, 6. Oktober 2016

Claudia Rusch: Zapotek und die strafende Hand (Knaur)

Eigentlich wollte Henning Zapotek, Hamburger Kriminalhauptkommissar, sein Sabbatjahr nutzen, um gen Nordpol zu segeln. Statt dessen findet er sich in Klokenzin bei Stralsund wieder, dem Heimatdorf, dem er eigentlich entrinnen wollte. Doch dann sind da zwei mysteriöse Todesfälle. 
Als Zapotek anfängt, unbequeme Fragen zu stellen, muss er feststellen, dass dies auch für ihn recht schmerzhaft werden kann. Claudia Rusch legt hier einen souverän geschriebenen, stimmungsvollen Ostsee-Krimi vor – und obendrein ist der Fall ziemlich spannend. 

Prädikat: ****

Vera Kühne: Grenzenlos (Pattloch)

„Unsere Heimat liegt innen, aber wir irren immer umher und suchen Trost woanders, in der Außenwelt“, zitiert Vera Kühne ein Zitat, dass sie in Taizé gelesen hat. Die Chirurgin reist seit Jahren umher, und sie hat vielen tausend Menschen in den Krisengebieten unserer Erde geholfen. In diesem Buch berichtet sie über Einsätze in Kolumbien, im Kosovo und im Sudan, in Mazedonien und Papua-Neuguinea, für Ärzte ohne Grenzen, den Malteser Auslandsdienst, das Internationale Rote Kreuz und andere Hilfsorganisationen sowie für die Bundeswehr, bei der sie als Stabsärztin in Afghanistan tätig war. Dabei geht ihre Arbeit oft weit über die reine Krankenversorgung hinaus – ein anstrengendes Leben, das viel Kraft kostet. Immer wieder stellt sie die routinierten Abläufe im wohlgeordneten Deutschland infrage, bricht ab, fängt neu an, wenn sie das Gefühl hat, nicht am richtigen Ort zu sein. Eine beeindruckende Lebensgeschichte. Doch letztendlich wünscht der Leser Vera Kühne, sie möge Halt und Ruhe finden – auch in der Heimat gibt es Probleme, und jede Menge Patienten, die einen engagierten Arzt dringend brauchen. 

Prädikat: ***