Dienstag, 27. November 2012

Annie Proulx: Schiffsmeldungen (btb)

Dieses kleine Buch kommt zunächst daher wie eine Aneinanderreihung von Katastro- phen. Da ist sein Held Quoyle, vom Pech verfolgt, der versucht, seine Brötchen als Reporter zu verdienen, und immer wieder scheitert. Auch bei den Frauen hat er kein Glück. Doch dann lässt er sich von seiner Tante überreden, mit ihr und seinen Töchtern nach Neufundland zurückzukehren. In der Heimat seiner Vorfahren wartet nicht nur ein Haus, das mit Seilen am Felsen festgezurrt ist. Quoyle findet einen Job beim Lokalblatt, eine Menge Nachbarn, die ebenso seltsam sind wie er, und alte Geschichten, die manches erklären, was er bislang unerklärlich fand. Er schreibt die Schiffsmeldungen - und lernt, dass ein Mann ein Boot braucht, dass es auch Frauen gibt, die ein Mann mit Gewinn küsst, und dass auf dieser Insel, in Nebel und Kälte, so manches Wunder geschieht. 
Kein Wunder ist es, dass Annie Proulx für dieses Buch mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden ist. Es ist wie ein Kaleidoskop - jedes- mal, wenn man es aufschlägt, entdeckt man hinter den scheinbar schlichten Sätzen eine neue Facette, eine neue Geschichte. Und eine grandiose Autorin, die mit ihren Worten eine Welt erschaffen kann. Das ist große Literatur, ganz ohne Zweifel. 

Prädikat: *****

Freitag, 16. November 2012

Daniel Schönpflug: Luise von Preußen (dtv)

Bereits zu Lebzeiten wurde Königin Luise von Preußen (1776 bis 1810) sehr verehrt. Goethe bezeichnete sie als "Lichtgestalt", Schlegel pries sie als "Königin der Herzen". Schinkel und Rauch errichteten ihr Denk- mäler. Und bis zum heutigen Tage werden Bücher über die junge Frau geschrieben, die als sechstes Kind des Prinzen Karl Ludwig von Mecklenburg-Strelitz und seiner Ehefrau Friederike Caroline von Hessen-Darmstadt zur Welt kam. 
Sie steht für Natürlichkeit und Bürgerlich- keit, für ein neues Ideal in Sachen Ehe und Familie, für Liebe und Treue - und für eine behutsame Erneuerung der Institution Monar- chie. Historiker Daniel Schönpflug erkundet in seiner auch stilistisch sehr ansprechenden Biographie, inwiefern dieses Bild der Realität standhält. Er zeigt auf, wie sich mit den historischen Gegebenheiten auch die Inszenierung von Macht und Herrschaft veränderte. Das ist durchaus spannend zu lesen.

Prädikat: ****

Donnerstag, 15. November 2012

Martin Walker: Schatten an der Wand (Diogenes)

Der Schotte Martin Walker hat seit vielen Jahren seine zweite Heimat im Périgord. Dieser Landschaft und ihren ziemlich eigensinnigen Bewohnern hat er in Gestalt von Bruno, Chef de police, in großartiger Weise ein literarisches Denkmal gesetzt. 
Schatten an der Wand ist ein früher Roman des Autors um eine prähistorische Höhlenzeichnung. Ich hätte dieses Buch hier gern vorgestellt. Und wenn dies nicht ein schnödes Blog, sondern das Hintertupfinger Tagblatt wäre, könnten Sie, lieber Leser, an dieser Stelle auch ganz sicher eine Rezension des Buches finden. 
Lesen kann ja bekanntlich (fast) jeder - und kostenlose Bücher nimmt so mancher gern. Da hat man sogar Verständnis dafür, wenn mittlerweile etliche Verlage nur noch ungern Rezensionsbücher an Blogger verschicken. Aber muss das denn so grundsätzlich und ohne Blick auf den Einzelfall entschieden werden? 
Die Autorin, die diese Zeilen schreibt, bedauert, dass offenbar nun auch der Diogenes Verlag nur noch "richtige" Medien beliefert, die die langen Texte schreiben, mit scharfem germanistischem Seziermesser und auf einem Niveau, an das die kurzen Textchen in diesem Blog selbstredend niemals heranreichen. 
Das wollen sie ja auch nicht. Diese frechen, unehelichen kleinen Geschwister literaturwissenschaftlicher Fachaufsätze bringen Buchinhalte auf den Punkt, und kommentieren obendrein das künstlerische Handwerk der Autoren - in einer Form, die dem Internet angemessen ist. Die Rezensionen in diesem Buchblog sind maßgeschneidert für Sie, liebe Leser - und ich freue mich immer wieder über Ihr Interesse für diese durchaus aufwendige Arbeit, Ihr Lob und Ihre begeisterten Anmerkungen. 
Und vielleicht wird auch der Diogenes Verlag irgendwann entdecken, dass ein Aufsatz in einer Zeitung, selbst wenn er noch so überragend und tiefschürfend ist, einen Tag später mit dem Medium im Altpapier landet. Die Texte im Buchblog aber können Sie, wie ein Literatur- lexikon, jederzeit auch in Zukunft per Mausklick erreichen. Ich verspreche Ihnen, dass noch viele hinzukommen werden - und dass Sie hier auch in Zukunft nicht nur die Hochkultur finden werden. 

Elmar Heer: Partner auf Leben und Tod (Knaur)

Elmar Heer berichtet über seine Arbeit bei der Polizei. Dabei gerät er schnell ins Schwärmen - was der Leser nachvollziehen kann, denn Heer hat wundervolle Kollegen. Sie haben vier Beine, Fell, Herz und Schnauze, und sie sind überaus zuver- lässige Gefährten. 
Heer, seit über 20 Jahren Beamter der Diensthundestaffel Mittelfranken, hat eine Menge zu erzählen. Er hat mit seinen Polizeihunden etliche Ganoven gestellt und Drogen aufgespürt. Derzeit arbeitet er mit Hündin Carina, die speziell für die Suche nach Sprengstoffen aus- gebildet ist. Shirley Michaela Seul, eine renommierte Autorin und Ghostwriterin, hat den Hundeführer beim Schreiben unterstützt. Das Ergebnis liest sich spannend, und ist interessanter als so mancher Band mit Politiker-Memoiren. 

Prädikat: **

Mittwoch, 14. November 2012

Hakan Nesser: Der Kommissar und das Schweigen (btb)

Kommissar Van Veeteren hat die Nase voll. Um nicht 14 Tage Familienurlaub mit seiner Exfrau, Kindern und Enkelkindern ertragen zu müssen, bucht er kurz entschlossen Ferien auf Kreta. Doch vor seiner Abreise bekommt er überraschend noch eine schwierige Aufgabe: Ein Kollege aus einem benachbarten Polizeirevier bittet ihn um Hilfe. Er hat seltsame Anrufe erhalten, die darauf hinweisen, dass aus einem Ferien- lager ein junges Mädchen verschwunden ist. Die Leute dort allerdings streiten alles ab. Wenig später wird dann eine Leiche gefunden. Die Umstände sind seltsam, und die Ermittlungen haben nicht wirklich ein Ergebnis - bis ein Zufall der Polizei eine interessante Spur bringt. Ein brillanter Krimi von Hakan Nesser, der zu Recht als einer der besten  Schrift- steller Schwedens gilt. 

Prädikat: ****

Sarah Quigley: Der Dirigent (Aufbau)

Aus dem belagerten Leningrad werden die meisten Künstler evakuiert. So wird die gesamte Philharmonie aus der einge- schlossenen Stadt gebracht. Das Rundfunkorchester aber, das von Karl Eliasberg geleitet wird, bleibt. Und Dmitri Schostakowitsch, der berühmte Komponist, weigert sich, die Stadt zu verlassen. Er arbeitet an einem wichtigen Werk, wenn er nicht gerade Gräben ausheben muss oder zur Brandwache eingeteilt ist. Sarah Quigley erzählt von der Entstehung der Leningrader Sinfonie - und davon, wie sie von halb verhungerten und furchtbar frierenden Musikern, den wenigen Überlebenden eines grauenhaften Winters, für die verbliebenen Bewohner der Stadt und ihre Verteidiger uraufgeführt wird. Akzeptiert man grundsätzlich das Genre Romanbiographie, dann wird man dieses Buch sehr gelungen finden. 

Prädikat: ****

Montag, 12. November 2012

Nicole Steyer: Die Hexe von Nassau (Knaur)

Idstein, im Jahre 1676: Graf Johannes lässt sich nur zu gern einreden, dass der Teufel im Herzogtum Nassau sein Unwesen treibt. Nun wird man des Leibhaftigen kaum habhaft werden - doch die Hexen, die sich in seinem Gefolge herumtreiben, will der Graf schon fassen. Allerdings sollten sie nicht mehr im gebärfähigen Alter sein, denn nach dem Dreißigjährigen Krieg liegen noch immer etliche Dörfer wüst, und da ist jeder Untertan willkommen. Henker Busch freilich widmet sich der Hexenjagd mit Hingabe. Zum einen verdient er am Foltern und Töten. Zum anderen, so will es Autorin Nicole Speyer, ergötzt er sich an den Qualen der Frauen. Ein junges Mädchen hat es ihm besonders angetan, so dass er sich über die Vorschriften hinwegsetzt, um sie in seine Gewalt zu bringen. Ein grob gestrickter Roman mit zahlreichen historischen Laufmaschen. So steht hier in jedem Bauernhaus vor dem Ofen ein Sofa. Und die Autorin kann sich nicht entscheiden, ob der Liebste ihrer Heldin Katharina nun Priester oder Pfarrer ist. Autsch! 

Prädikat: *

Samstag, 10. November 2012

Georges Simenon: Der Mörder (Diogenes)

Schutter war reich - ein Rechtsanwalt, der es nicht nötig hatte, Mandanten anzu- nehmen. Seine Yacht war groß und schnell, und sein Haus war prächtig. "Vor allem aber war er der einzige Mann in Sneek, der sich einen schlechten Ruf leisten konnte." So bringt es Simenon aus den Punkt, und die Geschichte ins Rollen. Denn Nikolaus de Schutter hat ein Verhältnis mit Alice Kupe- rus. Und Ihr Ehemann, Doktor Kuperus, weiß davon. 
Doch was zuviel ist, das ist zuviel - und eines Tages ist das Pärchen verschwunden. Die Tat hat niemand beobachtet. Aber bald schon ahnt die ganze Stadt, wer der Täter war. Denn der Doktor verändert sich. Akribisch schildert Simenon, wie Kuperus allmählich seine gutbürgerliche Existenz abstreift - und im Wahn endet. 

Prädikat: ****

Donnerstag, 8. November 2012

Lars Rambe: Solo für den Tod (dtv)

Ein kleines Städtchen in Schweden bereitet sich darauf vor, erstmals Gastgeber eines internationalen Jazzfestivals zu sein. Doch dann flieht ein Schwerverbrecher aus dem Gefängnis, ganz in der Nähe. Eine Bank wird ausgeraubt; dabei gibt es Tote. Um das Chaos perfekt zu machen, wird obendrein ein berühmter Jazzmusiker angeschossen - und bald ist nicht nur die Polizei, sondern auch die Redaktion der örtlichen Zeitung auf der Jagd nach den Tätern. Lars Rambe macht es auch dem Leser nicht leicht, das Rätsel zu lösen und herauszufinden, was all die Verbrechen mitein- ander zu tun haben. 

Prädikat: ***

Wolfgang Kaes: Bitter Lemon (btb)

Zoran Jerkov, nicht gerade mit blüten- weißem Lebenslauf, wird aus dem Gefängnis entlassen, wo er zwölf lange Jahre unschuldig eingesessen hat - und droht vor laufenden Kameras allen, die ihn hinter Gitter gebracht haben, mit Rache. Dann sterben Menschen, die einst mit seinem Fall zu tun hatten. Die Kölner Polizei ruft ihren Ex-Kollegen David Manthey zu Hilfe. Denn der war in seiner Jugend mit Jerkov befreundet. Nun soll er ihn aufspüren - doch er zweifelt daran, dass Zoran der Mörder ist. Die Spuren führen auf den Balkan, und die Täter kennen keine Skrupel. Wolfgang Kaes hat einen Kriminalroman geschrieben, der immer wieder überraschende Wendungen nimmt - bis hin zum verblüffenden Finale. 

Prädikat: ****