Donnerstag, 13. September 2012

Urmila Chaudhary: Sklavenkind (Knaur)

Das Leben in Nepal ist für viele Bewohner dieses Landes hart. Dennoch pflegen die Menschen dort ein Kastensystem, wie wir es auch aus Indien und Pakistan kennen - so hat fast jede Bevölkerungsgruppe noch eine andere, auf die sie hinabschauen kann. Und nur die Jungen sind in dieser Kultur von Bedeutung. Das führt dazu, dass zahlreiche Mädchen ab einem Alter von sechs Jahren als Arbeitskräfte verkauft werden. Sie leben im Haushalt ihrer "Arbeitgeber", wo sie in ir- gendeinem Winkel schlafen, mehr oder minder ernährt werden - und kräftig zupacken müssen. 
Eine Schule besuchen sie nicht, aber sie kommen zumindest aus ihrem Dorf heraus, und lernen, wie man einen Haushalt führt. Der "Kaufpreis" ist aus westlicher Sicht eine lächerliche Summe, Lohn wird nicht gezahlt - und wenn die Mädchen, die als "Kamalari" in die Fremde geschickt werden, Pech haben, dann gibt es obendrein noch Schläge oder Zudringlichkeiten. Doch eines ist auch klar: Die Eltern sind nicht in der Lage, die Mädchen zu ernähren und auszubilden. 
In diesem Buch berichtet Urmila Chaudhary von ihren Jahren als Hausdienerin, und von ihrem Kampf gegen diese brutale Tradition. Aufgeschrieben hat die Geschichte allerdings eine deutsche Journalistin; das macht es schwierig, zu unterscheiden, welche Schilderungen von der Nepalesin stammen, und welche Sachverhalte aus europäischer Sicht notiert und bewertet wurden. Zweifelsfrei trifft es zu, dass Bildung den Mädchen aus dieser misslichen Lage helfen würde. Aber von ihren Familien haben die Kinder doch auch nichts zu erwarten - welche Alternative also steht hier zur Debatte? 

Prädikat: **

Dienstag, 11. September 2012

Varg Gyllander: Tote reden nicht (btb)

Auf einem etwas heruntergekommenen Kreuzfahrtschiff, das eigentlich nur noch Leute durch die Gegend fährt, damit die zollfrei einkaufen können, wird eine Leiche gefunden. Der Tote liegt im Wasser, und zwar in einem künstlich angelegten Re- genwald-Biotop - doch er wurde erschossen, wie die Stockholmer Kriminalpolizei bald feststellt. 
Außerdem finden Ulf Holtz und seine Kollegin Pia Levin heraus, dass der Mann unter falschem Namen an Bord gegangen und dass er regelmäßig mit diesem Schiff unterwegs war. Doch dann bringt Autor Varg Gyllander eine tote Familie und diverse Vergewal- tigungen ins Spiel. Waffenschmuggel wäre wohl nicht spektakulär genug gewesen, und irgendwie hängt ja bekanntlich alles zusammen. Natürlich hat dieser Fall eine Lösung - aber besonders glaubhaft wirkt sie nicht. Schade. 

Prädikat: **

Samstag, 8. September 2012

Erika Riemann: Die Schleife an Stalins Bart (dtv)

Vierzehn Jahre alt war Erika Riemann, als der Zweite Weltkrieg zu Ende war. Und dann machte sie gleich zwei Fehler, die Aufmerksamkeit und Misstrauen der Besatzungsmacht weckten: Sie weigerte sich, einer russischen Majorin die Haare zu waschen, weil diese Läuse hatte. Und dem Stalin-Porträt, dass nun anstatt des Bildes von Adolf Hitler in ihrem Klassenzimmer hing, malte sie mit Lippenstift eine Schleife um den Schnauzbart. Das genügte, um Erika vor ein russisches Gericht zu bringen. Das Urteil: Zehn Jahre Sibirien. Doch das Mädchen hatte Glück, so makaber das klingen mag - nach acht Jahren Haft, die sie in Deutschland abgesessen hat, wurde sie entlassen.
Ihre Autobiographie, die sie viele Jahre später zu Papier bringt, gibt eindrucksvoll Zeugnis davon, mit welchen Methoden in den Anfangs- jahren die DDR regiert wurde. Dieses Buch ist ein bedeutendes Doku- ment einer Diktatur, die in ihrer Willkür für die Menschen schrecklich war, die ihr unterworfen waren. Riemann ist es gelungen, 1954 über die Grenze zu fliehen. Doch die Erlebnisse aus den Gefängnisjahren wurde sie nicht mehr los. Viele Jahre hat sie geschwiegen - umso wichtiger ist dieses Buch, das insbesondere auch an den Schulen gelesen und diskutiert werden sollte. 

Prädikat: ****

Mittwoch, 5. September 2012

Helen Simonson: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft (Droemer)

Früher war alles besser, meint Ernest Pettigrew, Major a.D. Und nach dem Tod seiner Frau will er eigentlich nur noch seine Ruhe, ein gutes Buch und eine ordentliche Tasse Tee. Bald stellt er erstaunt fest, dass dafür in seinem Umfeld nur ein Mensch Verständnis hat: Jasmina Ali, die Besitzerin eines kleinen Lebensmittelladens. 
Major Pettigrew ist so britisch, wie sich ein deutscher Leser das nur wünschen kann. Ja, er verkörpert das Britische in einem Maße, dass jede Steigerung in die Karika- tur führen muss. Der Leser freut sich auf jeder Seite über seine Lebensweisheit und seinen knacktrockenen Humor. Jasmina hat zwar Verwandtschaft, die aus Pakistan stammt. Doch sie ist in Großbri- tannien aufgewachsen, wo ihr Vater Mathematik lehrte. So ist es kein Wunder, dass sie sich nicht nur als sehr belesen erweist, sondern auch die Welt, in der sie sich nun als Witwe einfügen soll, mit kri- tischem Blick betrachtet.
Denn ihr Neffe Abdul Wahid, sehr religiös erzogen, soll den Laden übernehmen, damit die Familie für ihn eine Braut aus Pakistan kommen lassen kann. Jasmina soll sich um die Kinder von Verwandten kümmern, bei denen sie zukünftig unterkommen wird - gern auch um den Haushalt. Und Roger, der verzogene Sohn von Pettigrew, hätte ebenfalls nur zu gern Zugriff auf das Vermögen seines Vaters. So wird es nicht verwundern, dass schon die vorsichtige Annäherung der beiden Alten für einigen Trubel sorgt. Helen Simonson hat in ihrem ersten Buch eine köstliche Komödie zu Papier gebracht - mit einem furiosen Finale. 

 Prädikat: ****