Dienstag, 29. März 2011

Friedrich Ani: Süden (Droemer)

Ein Münchner Wirt verschwindet. Tabor Süden, vormals bei der Polizei zuständig für die Suche nach Vermissten, nun bei einer Detektei, beginnt mit Nachfor- schungen. Doch wie soll man einen Menschen finden, der immer mehr Fragen aufwirft, je mehr Antworten man herausbekommt? Schon bald ist sich Süden ganz sicher, dass keiner diesen Raimund Zacherl wirklich kannte - seine Frau nicht, seine Geschäftspartner nicht, und auch die Serviermaiden nicht, selbst wenn die eine oder andere näher mit ihm zu tun bekam. Die Geschichte, die wie ein Krimi begann, endet als Parabel. Großartig. 

Hartmut Lange: Im Museum (Diogenes)

"Unheimliche Begebenheiten", nennt Hartmut Lange diese Sammlung von phantastischen Geschichten. Sie spielen sämtlich im Deutschen Historischen Museum zu Berlin - und irritieren. Da verschwindet eine Museumsangestellte spurlos. Auch ein Besucher findet den Ausgang nicht mehr. Adolf Hitler geistert durch die Räume. Eine Mutter will ihrem Kind den Himmel zeigen - und kann ihn nicht finden. Sieben Kapitel, sieben Rätsel, die Lange nur andeutet, aber niemals auflöst. Der Leser grübelt, und wundert sich über das Eigenleben, das dieses Gebäude entwickelt, das mit Geschichte vollgestopft ist - aber keine Geschichten erzählt. Das übernimmt statt dessen der Autor, und bringt den Leser damit ganz schön ins Grübeln. 

Tatjana Kruse: Nadel, Faden, Hackebeil (Knaur)

Zwei Morde sorgen für Gerüchte in Schwäbisch Hall. Auf der Herrentoilette eines Parkhauses wird die Leiche des Landtagsabgeordneten Lambert von Bellingen gefunden. Und Siegfried Seifferheld, der stickende ehemalige Kriminalkomissar, findet die Überreste der Inhaberin des ortsansässigen Souvenir- ladens - mit völlig zertrümmertem Gesicht. Unterstützt durch seinen Hund Onis, seine Freundin, die als Lokalredakteurin arbeitet, und durch die Männer seines Kochkurses geht Seifferheld auf die Suche nach dem Mörder. 
Tatjana Kruse hat erneut den mit Abstand witzigsten Krimi des Jahres geschrieben. Und während man noch grübelt, ob das noch Parodie ist oder schon Comedy, ist der Täter bereits gefunden. Köstlich! 

Lucy Hepburn: Kein Anschluss unter dieser Nummer (Heyne)

Christy Davies verliert ihr iPhone. Was für jeden von uns ein Ärgernis wäre, das ist für sie eine Katastrophe. Denn sie verdient ihr Geld, indem sie anderen Leuten lästige Wege abnimmt. Blumen kaufen für die Gattin, Juwelen vom Fototermin und einen wertvollen Teppich aus der Reinigung abholen, den Pudel zum Friseur schaffen, Flugtickets bringen - Christy alias doorman-dot-com erledigt alles zuverlässig, pünktlich und persönlich. 
Doch jetzt hat sie ein Problem. Denn ihr fehlt nicht nur ihr Telefon, sie vermisst viel mehr - Navi, Lexikon, Kalender, Adressbuch, all das ist das iPhone für sie. Und so kommt ihr Tag zunehmend in Unordnung. Lucy Hepburn platziert in diesem Chaos zusätzlich zwei charmante und attraktive Männer, eine Schwester, die Hochzeit feiert, und diverse Eltern nebst diversen Missverständnissen. Eine turbulente Geschichte, die so wohl nur in New York spielen kann. 

Xinran: Die namenlosen Töchter (Knaur)

Seit Jahren schreibt die Journalistin Xinran über die Schicksale chinesischer Frauen - und in diesem Roman erzählt sie von einer Familie, die nur Töchter hat, aber keinen Sohn: "Eßstäbchen" statt "Dachbalken". Da in China traditionell die Töchter den Haushalt ihrer Eltern verlassen, wenn sie heiraten, wird es gerade in ländlichen Gegenden offenbar doppelt wichtig, einen Sohn zu haben. Denn er ist nicht nur der "Stammhalter", sondern auch die Renten- versicherung der Eltern, die er versorgen muss, wenn sie alt werden.
Die sechs Töchter, von denen dieser Roman berichtet, haben nicht einmal Namen; ihr enttäuschter Vater hat sie statt dessen einfach durchnummeriert. Doch die Mädchen finden sich nicht damit ab, auf dem Lande nichts zu sein. Als erste entkommt Drei; sie geht in die Stadt und sucht sich dort eine Arbeit. Fünf und Sechs folgen ihr bald nach. Xinran macht deutlich, wie groß der Schritt für die Mädchen ist. Denn sie sind Analphabeten, sie haben keinen Beruf gelernt, und sie kennen in der Stadt zunächst niemanden. 

Iny Lorentz: Die Rose von Asturien (Knaur)

Weil er sich über die fortwährenden Viehdiebereien an seiner Grenze geärgert hat, lockt Graf Roderich seinen Nachbarn in eine Falle, und bringt ihn um. Das ihm bei dieser Gelegenheit auch noch das einzige Kind des Rivalen in die Hände fällt, freut ihn ganz besonders. Die achtjährige Maite soll seiner Tochter als Zofe dienen. 
Gleich am ersten Tag nach ihrer Ankunft auf der Burg wird sie halbtot geschlagen, und in einen Stall gesperrt, weil sie sich ihrer fünfjährigen "Herrin" widersetzt hat. Maite gelingt die Flucht, und ihr Hass hält sie am Leben. Jahre später kommt die Gelegen- heit zur Rache - doch bald muss Maite erkennen, dass auch sie nur eine Schachfigur in einem Spiel ist, das auf einer ganz anderen Ebene gespielt wird. 
Dem Münchner Autorenpaar Iny Lorentz gelingt es mit diesem Roman erneut, europäische Geschichte - in diesem Falle geht es um den Kriegszug Karls des Großen gegen die Mauren 778 und die einzige Niederlage, die er jemals hinnehmen musste - spannend anhand konkreter Schicksale zu erzählen. 

Jack London: Meistererzählungen (Diogenes)

Dieses Buch berichtet von unerhörten Begebenheiten - von riesigen Perlen, die ihrem Finder letzten Endes doch ein Vermögen bringen, von der Suche nach Gold, von Männern, die ihr Leben wagen, um ihre Träume zu verwirklichen, von Männern, die ein Imperium schaffen und wieder untergehen sehen, und von Männern, die inmitten von Eis und Schnee ums Überleben ringen. Lakonisch erzählt Jack London vom Leben und vom Tod - er ist ein großartiger Erzähler, und wie er auf wenigen Seiten eine Welt erschafft und mitunter auch wieder zerstört, das ist einzigartig. 

Ursula Niehaus: Die Tochter der Seidenweberin (Knaur)

Köln, zu Beginn des 16. Jahrhunderts: Die Seidenweberei floriert, und sie wird nahezu ausschließlich durch Frauen betrieben. Das verschafft ihnen die Chance auf eine halbwegs abgesicherte Existenz - doch nicht alle Seidmacherinnen halten sich an die Regeln der Zunft. Lisbeth Lützen- kirchen, die das Geschäft ihrer Mutter weiterführt, muss erkennen, dass es nicht gut ist, wenn einige Meisterinnen immer mehr Macht und Reichtum an sich raffen - auf Kosten anderer, die immer weniger in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt zu erarbeiten. 
Auch die Fortsetzung des Romans um die Seidmacherin Fygen ist Ursula Niehaus gelungen. Das Buch liest sich gut, und Geschichte ist spannend - wenn sie so solide recherchiert wird.