Sonntag, 27. Juni 2010

Munro Leaf: Ferdinand (Diogenes)

Die Geschichte vom Stier, der kein Stierkampfstier sein wollte. Denn Ferdinand, so heißt das Tier, liegt am liebsten unter seiner Korkeiche und schnuppert an den Blumen. Eine köstliche Geschichte von Munro Leaf mit wunder- vollen, ironischen Bildern von Robert Lawson - ein echter Klassiker. 

Prädikat: ****

Samstag, 26. Juni 2010

Stefan Kieseby: Nebenan ein Mädchen (Heyne)

Stefan Kieseby bemüht sich, die beklemmende Atmosphäre einer Kleinstadt in den Wirtschaftswunderjahren literarisch zu fassen. Und in der Tat: Dieses Buch riecht nicht nach Bohnenkaffee und Persil; es riecht nach Moder und Socken, nach Exkrementen und nach Sauna. Schnell wird sichtbar: Die scheinbar heile Welt, in der die Söhne der besseren Angestellten gemeinsam aufwachsen, hat Risse. Doch auch dieser Text hat Risse; und im letzten Drittel mag man ihm kaum noch folgen, so wenig glaubwürdig wird hier erzählt. Schade.

Prädikat: *

Paddy Richardson: Der Vogelbrunnen (Droemer)

Die Journalistin Claire erhält den Auftrag, die Biographie des Serienvergewaltigers Travis Crill zu schreiben. Dabei hat sie kein gutes Gefühl, doch der Text wird extrem gut bezahlt, und das Geld kann die junge Witwe durchaus brauchen. Denn ihre Tochter will demnächst die Schule ab- schließen und ein Studium anfangen.
Widerstrebend beginnt Claire mit der Arbeit. Das fällt ihr schwer, nicht zuletzt, weil sie Crill dazu mehrfach interviewen muss. Im Gespräch mit dem Straftäter verstärkt sich die Angst, die Claire empfindet. Denn sie hat zunehmend den Eindruck, dass sie von ihm beobachtet wird. 
Ein Gespräch mit einem Kriminalpolizisten bringt zusätzliche Unruhe in ihr Leben. Denn erstaunt stellt sie fest, dass sie sich durchaus für ihn interessiert. Ein klassischer, ziemlich sorgsam gebauter Thriller mit den genretypischen Irungen und Wirrungen - und einem durchaus knalligen Finale.

Prädikat: ***

Sana Krasikov: In Gesellschaft von Männern (Luchterhand)

In Gesellschaft von zumeist amerikanischen Männern, um den Titel zu präzisieren, sind Frauen, die aus den zerfallenden Staaten, die einstmals die Sowjetunion bildeten, in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten gegangen sind. Hier machen sie üblicherweise das, was sie auch zu Hause schon getan haben: Sie schuften, und halten die Familie zusammen - jedenfalls soweit davon noch etwas übrig ist. 
Geschichten von starken Frauen, die sich in einer fremden Welt mitunter sehr erfolgreich integrieren, manchmal aber auch brutal scheitern und Fremde bleiben - aufgeschrieben von einer jungen Schriftstellerin, die in der Ukraine geboren wurde, und in Georgien sowie in den USA aufgewachsen ist. Geschichten zwischen den Welten - lakonisch und mit trockenem Humor erzählt. 

Prädikat: ***

Mittwoch, 23. Juni 2010

René Goscinny /Jean-Jacques Sempé: Der kleine Nick spielt Fußball (Diogenes)

Noch mehr prima Geschichten vom kleinen Nick und seinen Freunden - und zwar gleich vier Stück, die sich allesamt mit dem Thema "Fußball" beschäftigen. Dabei geht es keineswegs um die Weltmeisterschaft, sondern eher um Bolzereien unter Kumpels. Wenn es denn dazu überhaupt kommt. Denn schon die Mannschaftsaufstellung ist gar nicht so einfach. Die Entscheidung, wer Schiedsrichter und wer Kapitän wird, ist noch komplizierter. Da kann es schon einmal statt zu einem Fußballspiel zu einer gepflegten Prügelei kommen. Naja, aber das macht eigentlich auch gar nichts. Denn so richtig stressig wird es ohnehin erst, wenn sich Eltern in ein Fußballspiel einmischen. 
Unsere Jungs finden diese Geschichten "große Klasse"; vor allem die Bilder von all den frechen Kindern und von den lädierten Vätern haben sie schwer beeindruckt. Das Buch kann also auch zum Vorlesen empfohlen werden - und die Erwachsenen werden dabei zumindest schmunzeln, versprochen! 

Prädikat: *****

Petra Würth: Rache ist giftig (Heyne)

Der Hamburger Detektivin Pia Petry kommt jeder Auftrag gelegen. Und über die Anfrage einer offensichtlich vermögenden Dame, die nach einem Taxifahrer sucht, in den sich ihre Schwester während einer nächtlichen Fahrt verliebt habe, freut sich die junge Detektivin sogar: Endlich einmal eine Auf- gabe, bei der sie nicht in anderer Leute schmutziger Wäsche wühlen muss! 
Doch schon bald stolpert Pia über eine Leiche. Warum geben sich die Taxifahrer derart zugenöpft? Und was haben die Biker mit der ganzen Angelegenheit zu tun? Bald wird der Detektivin klar: Ihre Mandantin hat nicht ganz die Wahrheit gesagt; hier geht es keineswegs um Eheanbahnung, sondern knallhart um Rache. Und die Recherche ist sehr viel gefährlicher, als zunächst vermutet. Dieser Krimi von Petra Würth hat Temperament und Tempo - und ein durchaus verblüffendes Ende.

Prädikat: ***

Samstag, 19. Juni 2010

Rachida Lamrabet: Frauenland (Luchterhand)

"Frauenland" nennen die marokkanischen Männer Westeuropa, denn dort, so meinen sie, haben die Frauen das Sagen. Dennoch will Younes dorthin, übers Meer - den letzten der Liebesbriefe, die er seit fünf Jahren schreibt, will er seiner Angebeteten persönlich überbringen. Denn Mariam hat auf seine Briefe nie geantwortet.
Das ist kein Wunder, denn die junge Frau, die in Belgien als Politikerin erfolgreich ist, hat den Urlaubsflirt schon lange vergessen. Sie setzt sich für die Rechte von Migranten ein - doch obwohl sie schon als Kind mit ihrer Familie nach Belgien gekommen ist, hat sie manchmal den Eindruck, dass sie in der neuen Heimat immer noch nicht ganz angekommen ist.
Younes ertrinkt auf der Überfahrt nach Spanien. Das bringt eine Menge Unruhe in Maras Leben. Schließlich geht sie auf die Spurensuche - und was sie findet, das macht sie klüger, reifer, aber nicht wirklich glücklicher. Rachida Lambert zeigt in ihrem Roman Immigranten auf der Suche nach ihrer Identität; gefangen zwischen Tradition und Moderne, Herkunft und Zukunft. Sie stellt wichtige Fragen: Was ist Heimat? Wie findet man das Glück? Und sie zeigt verschiedene Antworten darauf. Ob der Leser sie akzeptiert, das muss jeder selbst herausfinden. 

Prädikat: **

Steve Mosby: Tote Stimmen (Droemer)

In einer britischen Großstadt geschehen brutale Morde: Der Täter bindet junge Frauen so an ihrem Bett fest, dass sie sich nicht mehr rühren können - und qualvoll verdursten. Zugleich sorgt er dafür, dass Familie und Freunde glauben, es sei alles in bester Ordnung - bis sie dann schließlich einen Anruf erhalten, in dem eine seltsam künstlich klingende Stimme fleht: "Hilf mir, hilf mir!" 
Doch wenn sie sich auf die Suche begeben, ist es schon zu spät. Detective Sam Currie sucht nach dem Mörder, aber bislang hat er keine einzige Spur. Das ändert sich, als der junge Journalist Dave seine Freundin Tori vermisst meldet. Denn wenig später erhält er eine SMS, die sie angeblich verschickt haben soll - und die sie ganz anders unterzeichnet als üblich. 
Ein Wettlauf ganz besonderer Art setzt ein. Denn sowohl Dave als auch der Detective setzen alles daran, Tori lebend zu finden - und den Täter hinter Gitter zu bringen. Steve Mosby hat hier eine gruslige Geschichte zu Papier gebracht, die man nicht aus der Hand legen kann, bevor man herausgefunden hat, wie sie endet.

Prädikat: ***

Willa Cather: Meine Antonia (Knaus)

Willa Cather berichtet vom Leben der Pioniere, die Amerika einst besiedelt haben. Millionen Menschen aus der Alten Welt zieht es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun- derts in die Prärie. Die Not ist überall groß - und in Amerika hoffen viele auf ein besseres Leben. 
Doch nicht jedem gelingt es, dort eine Farm oder ein Geschäft erfolgreich aufzubauen. Cather zeigt exemplarische Lebensläufe, und erzählt zugleich faszinierende Geschich- ten am konkreten Beispiel: Familie Shimerda ist aus Böhmen nach Amerika gekommen. Sie lebt auf einer jener Farmen, die sich weit voneinander entfernt in der Prärie erstrecken. Als der Nachbarjunge Jim sie zum ersten Male besucht, haust die ganze Familie noch in einem Erdloch. Der Nachbar hat eine Aufgabe für Jim - und sie wird ihn über Jahre beschäftigen: "Lehren, lehren meine Antonia." 
Antonia lässt sich von bitterer Not und harter Arbeit nicht entmuti- gen, und lernt bei Jims Großmutter, wie man einen Haushalt führt. Dieses Wissen wird ihr Startkapital. Denn Antonia ist klug, zielstrebig und wild entschlossen, sich in diesem Lande zu behaupten. Cathers Roman ist große Literatur - doch irgend etwas stimmt nicht an ihm. Es ist die Figur des Jim, die seltsam blass bleibt. Die Leerstelle ist derart auffällig, dass man sehr bald begreift: Dieser "Jim" ist eigentlich eine Jane. Seine Lebenswelt, seine Perspektive ist nicht wirklich die eines Mannes. Und selbst sein Nachname, Burden, zeigt deutlich, dass die Autorin dies als einen Makel, eine Bürde sieht.

Prädikat: *****

René Goscinny /Jean-Jacques Sempé: Der kleine Nick und sein Luftballon (Diogenes)

Der kleine Nick ist ein ganz normaler Schulbub - allerdings haben die Geschichten um Papa, Mama, die Schule und Nicks Freunde mittlerweile schon ein bisschen Patina angesetzt. Nicht sehr viel allerdings; es ist gerade soviel, dass es ausreicht, um ins Träumen zu geraten. Denn wo ist heute nach der Schule noch eine ganze Truppe Buben allein und ohne Aufsicht unterwegs? Wo sind die Bau- lücken, in denen man Fußball spielen und mit einem Schrottauto "fahren" kann?
Unsere Jungs jedenfalls lieben die Geschichten um Nick, seinen besten Freund Otto und seine Schulkameraden Chlodwig, Franz, Georg, Roland, Max, Joachim und Adalbert sehr. Sie fiebern mit ihm, wenn er im Preisausschreiben ein Auto gewinnen will, freuen sich über die Idee, einen Zirkus zu gründen, und fiebern mit ihm einem Abend im Theater entgegen.
Dieses Buch enthält die zehn ersten Abenteuer der Rasselbande - und wir hoffen sehr, dass sich noch eine ganze Menge mehr davon finden. 

Prädikat: ****

Freitag, 18. Juni 2010

Jacques Bonnet: Meine vielseitigen Geliebten (Droemer)

Es gibt Menschen, denen genügt ein einziges Buch! staunt Jacques Bonnet. Ihm selber ist das nicht vergönnt - der Redakteur, Lektor, Herausgeber, Autor und Übersetzer lebt inmitten einer riesigen Bibliothek.
In diesem Buch berichtet er, warum er seine "Schatztruhen aus Papier" nicht missen möchte - und wie er sein Leben inmitten von zehntausenden Büchern organisiert. Und er erzählt zahlreiche Geschichten über seine vielseitigen Gefährten, was das Buch wirklich interessant macht. Eine Liebeserklärung an ein Medium, das leider zunehmend an Bedeutung verliert.

Prädikat: ****

Joseph Roth: Hiob (Diogenes)

Vor vielen Jahren lebte in Zuchnow ein Mann namens Mendel Singer. Er war fromm, gottesfürchtig und gewöhnlich, ein ganz alltäglicher Jude. So beginnt Joseph Roth seinen Roman Hiob. Darin stellt er uns, den Lesern, einen Lehrer vor, der Kindern das Lesen und die Bibel nahebringt, und so seine erst fünf-, dann sechsköpfige Familie er- nährt: Gott hatte seinen Lenden Fruchtbar- keit verliehen, seinem Herzen Gleichmut und seinen Händen Armut, schreibt Roth.
Doch Mendels schmales Glück beginnt bald zu schwinden. Menuchim, sein jüngster Sohn, kommt krank zur Welt. Jonas, sein ältester Sohn, geht zum Militär. Die Tochter verschwindet mit diversen Kosaken im Weizen, und der mittlere Sohn flieht nach Amerika. Bald folgt ihm die Familie nach - bis auf den schwer kranken Jüngsten, der bei Nachbarn zurückbleibt, weil das Geld für die Überfahrt nicht für alle ausreicht.
Das Leben in der Neuen Welt kommt Mendel Singer hart an. Ein Schicksalsschlag nach dem anderen trifft ihn. Gläubig und ergeben nimmt er sie als Prüfung hin - bis das Maß voll ist, und seine Geduld mit Gott am Ende. Doch da geschieht ein Wunder. 
Roth erzählt, wie nur Roth das kann. Diese kleine Geschichte ist ganz große Kunst, und sie führt uns geradewegs aus der Hölle der Verzweiflung und der Einsamkeit in einen Himmel, der voll Hoffnung ist und voll Geborgenheit. 

Prädikat: *****

Mittwoch, 16. Juni 2010

Francis Scott Fitzgerald: Gesammelte Erzählungen (Diogenes)

Er ist der Chronist der Verlorenen Generation. Francis Scott Key Fitzgerald, geboren 1896, hatte schon mit 24 Jahren sein Ziel erreicht: Sein erster Roman Diesseits vom Paradies machte ihn mit einem Schlag reich und berühmt. Mit seiner Frau Zelda bewegte er sich in der Welt der Stars und Sternchen, erst in Amerika, und dann später, in den 20er Jahren, in Europa. Dort versuchte er, das Leben der Bohème auszukosten. Seine Erzählungen aber machen deutlich, dass ein Übermaß an Champagner auch zu einem deftigen Kater führt.
Alkoholexzesse, ein Lebensstil, der in keinem Verhältnis zum tat- sächlichen Einkommen des Paares stand, und das zunehmende Desinteresse des Publikums machten Fitzgerald zu schaffen. Sein heute wahrscheinlich bekanntestes Werk Der große Gatsby verkaufte sich schlecht.
Dann kam die Wirtschaftskrise - und Fitzgeralds Leben in Glanz und Glamour war nicht einmal als Fassade mehr aufrechtzuerhalten. Zelda erlitt zwei schwere Nervenzusammenbrüche, und verbrachte darauf- hin den Rest ihres Lebens in diversen Heilanstalten.Der Schriftsteller sah sich in der Verantwortung, für ein ausreichendes Einkommen zu sorgen. Seinem letzten vollendeten Roman Zärtlich ist die Nacht war jedoch kein Erfolg beschieden. Ab 1937 hielt sich Fitzgerald in Hollywood als Drehbuchautor über Wasser; 1940 erlag er einem Herzinfarkt. 
In seinen Erzählungen spiegelt sich Fitzgeralds ganzes Leben - das mondäne Dasein in Europa, mit diversen Aufenthalten in der Schweiz, Paris und an der Cote Azur, ebenso wie das finale Betteln des früheren Stars um kleinste Aufgaben als Drehbuchschreiber in der Traumfabrik. Man liest über Champagnerpartys in diversen Villen ebenso wie über das elende Dasein jener Schriftstellerkollegen, die Geld schnorren müssen, um das Monatsende zu erreichen. 
So zeichnet Fitzgerald ein facettenreiches Bild vom Leben der intellektuellen Eliten zwischen den Weltkriegen. Und noch dort, wo er vom Leben in der Gosse berichtet, schreibt er stilistisch brillant.
Es ist eben doch ein ganz besonderes Vergnügen, ab und zu einen Klassiker zu lesen - und auch wenn sich die vier Bände flüssig weg- lesen, so stellt man doch sehr bald fest, dass dieser Autor mit- nichten leichte Kost liefert. 

Prädikat: *****

Montag, 14. Juni 2010

Duane Louis: Schnelle Beute (Heyne)

Lennon ist Wheelman - der Fluchtfahrer, der bei Banküberfällen am Steuer sitzt. Auch den Überfall auf die Wachovia Bank in Philadelphia hat er, wie jeden seiner Jobs, minutiös und professionell vorbereitet. Doch diesmal geht alles schief. Denn erst sind seine Komplizen zwischen den Eingangs- türen gefangen. Und dann kommt ihm obendrein eine junge Mutter mit einem Kinderwagen entgegen. 
Die Beute bleibt zunächst im Kofferraum eines Wagens auf einem Langzeitparkplatz zurück. Doch dann ist das Geld weg, und die Bankräuber sind ebenfalls verschwunden. Lennon aber wird von der russischen und der italienischen Mafia sowie kriminellen Cops gejagt, die ihm das Geld abjagen wollen. Er hat es nicht - aber wer hat es?
Mit kaltem Blut und sehr viel Glück entgeht Lennon dem Tod, und wird nun selbst aktiv. Denn er will das Geld, das ihm zusteht - und er will sich an denen rächen, die ihn verraten haben. Was gleich mehrfach zum Showdown führt, ganz wie im klassischen Western.
Duane Swierczynski, Chefredakteur des Philadelphia City Paper, hat einen rasanten Krimi geschrieben. Der Leser folgt dem Helden atemlos durch dieses Buch - auf seiner Flucht, und auf der Suche nach dem Verräter.

Prädikat: ***

Tim Krohn: Vrenelis Gärtli (Diogenes)

Quatemberkinder leben nicht nur in der normalen Welt, sondern zugleich in jener der Sagen und Mythen. "Vrenelis Gärtli" ist die Fortsetzung von "Quatemberkinder", der Geschichte des Waisenknaben Melchior, genannt der Melk. Tim Krohn erzählt eine Geschichte von geradezu barocken Dimensionen - allerdings macht er es dem Leser nicht einfach. Denn er schreibt in einer am Schwyzerdütsch orientierten Kunstsprache, was ihm zwar jede Menge Sprachwitz ermöglicht, den Leser aber oftmals rätseln lässt. 
Am besten kommt man mit diesem Buch zurande, wenn man es laut liest. Wer sich auf dieses Experiment einlässt, der wird einen Roman entdecken, der durch Phantasie, Erzählkunst und Tiefe beeindruckt. 

Prädikat: ****

Sonntag, 13. Juni 2010

Tim Pieper: Der Minnesänger (Heyne)

Hartmann von Aue darf im Kloster lernen - und er weiß, dass das für den Sohn eines unfreien Lehnsherrn keinesfall selbst- verständlich ist. Er lernt zudem das Waffenhandwerk, und als er sich in die Nachbarstochter Judith verliebt, lernt er das Harfespielen - nur für sie. 
Doch Hartmann geht an den Hof der Zährin- ger, und Judith wird mit einem Bauern verheiratet. Viele Jahre vergehen, bis sie sich wiedersehen. Finden die Heilerin und der berühmte Dichter nun zusammen? Auf der Basis seines fundierten Wissens erzählt Tim Pieper diese Geschichte aus dem 12. Jahrhun- dert - reich an Details und clever gestaltet. Und auch wenn wir über den Schöpfer des Erec nicht viel mehr wissen als seinen Namen - vollkommen unwahrscheinlich ist eine solche Romanze nicht.

Prädikat: ***

Martin Suter: Der Koch (Diogenes)

Maravan, ein tamilischer Asylbewerber, spült Teller in einem Zürcher Sternelokal - tief unter seinem Niveau. Denn Maravan ist selbst ein exzellenter Koch, ausgebildet einst in Sri Lanka von seiner Großtante, die ihn auch in die Geheimnisse der aphrodisi- schen Küche eingeweiht hat. 
Eines Tages wird Maravan gefeuert. Da ermutigt ihn seine Kollegin Andrea zu einem Deal der besonderen Art: Die beiden starten ein Catering für Liebesmenüs. Anfangs kochen sie für Paare, die eine Sexualtherapeutin vermittelt. Doch bald zeigen auch viel zahlungskräftigere Kunden Interesse. Die Mächtigen aus Politik und Wirtschaft nutzen seine Kunst für ihre Zwecke. 
Maravan sieht das nicht gerne, denn er sorgt sich, solche Geschäfte könnten "unanständig" werden. Doch er benötigt das Geld, um seine Familie in Sri Lanka am Leben zu erhalten. Lange zögert er, und kocht sein "Love Food". Als er aber feststellt, dass ihn die Vertreter der tamil tigers belogen haben, denen er einen Teil seiner Einnahmen gespendet hat, und dass zu seinen Kunden auch ein Waffenschieber gehört, der sowohl die Armee als auch die Aufständischen beliefert, kündigt er. Vorher allerdings kocht er noch ein letztes Mal - für den Waffenlieferanten, dem das nicht gut bekommt. Martin Suters bislang schwächster Roman - durch und durch konstruiert, und mit Rezepten, die Profis getestet und ebenfalls für nicht besonders gut befunden haben.

Prädikat: **

Stefanie Gerstenberger: Das Limonenhaus (Diana Verlag)

Nach dem Tod ihres Bruders und seiner Frau will Lella Bellone deren Tochter zu sich nach Köln holen - so hat sie es ihrem Bruder ver- sprochen. Doch die Familie ihrer Schwägerin versteckt das Mädchen, und will es nicht herausgeben. Mit allerlei Intrigen versucht der sizilianische Clan der LaMacchias, Lella auszubremsen. 
Zwischen den beiden Familien steht eine alte Fehde - doch den Grund dafür kennt Lella nicht. Das Limonenhaus, das ihrer Mutter gehört und in dem ihr Bruder mit seiner Familie lebte, findet sie geräumt vor. In einem verborgenen Winkel entdeckt sie allerdings noch eine alte Bibel nebst einiger Tagebuchseiten, die wohl die Tante ihrer Mutter beschrieben hat. 
Und dann geht sie auf Spurensuche, denn sie ahnt, dass die Ursache für all die Querelen in der Vergangenheit liegen muss. Schritt für Schritt findet Lella heraus, wie ihr Vater einst ihre Mutter in die Ehe gezwungen hat - und welchen Anteil ihre damalige beste Freundin daran hatte: Teresa, die dann Gaetano La Macchia geheiratet hat, den heimlichen Verlobten ihrer Mutter. Und dann verlieben sich ausgerechnet die Kinder dieser beiden Familien ineinander. Romeo und Julia auf Sizilien - doch diese Tragödie hat ein Happy End. Spannende Unterhaltung!

Prädikat: ***

Samstag, 12. Juni 2010

Marc Levy: Kinder der Hoffnung (Knaur)

So endet eine Kindheit: Die Brüder Raymond und Claude beschließen, in der Résistance gegen die deutschen Besatzer zu kämpfen. Ein kleines Grüppchen junger Leute organisiert in Toulouse energisch und erfolgreich den Widerstand. Doch der Preis dafür ist hoch; die Jugendlichen riskieren täglich ihr Leben. 
Kurz vor der Landung der Alliierten fliegt die ganze Gruppe auf. Nur knapp gelingt es den Brüdern, aus dem Zug zu fliehen, der sie in ein deutsches KZ bringen soll, und so ihr Leben zu retten. Die Geschichte, die Marc Levy in diesem Buch erzählt, ist ergreifend - und sie ist wahr; es ist die Geschichte seines Vaters und seines Onkels.

Prädikat: ***

Ilka Piepgras: Meine Freundin, die Nonne (Droemer)

Ilka Piepgras, verheiratet, Mutter von Zwillingen, ist Redakteurin beim Zeit- Magazin. Nach vielen Jahren Sendepause erinnert sie sich an ihre Jugendfreundin Charlotte. Die begann nach der Schule ein Studium an einer Kunsthochschule - und wurde dort nicht froh.
Bei einem Studienaufenthalt auf Naxos begegnete sie dann einem Priestermönch vom Berg Athos. Das hat Folgen: Zum Entsetzen ihrer Familie konvertiert sie zum griechisch-orthodoxen Glauben, und tritt in ein griechisches Kloster ein. Zwanzig Jahre nach der letzten Begegnung mit der Freundin reist Ilka Piepgras zu ihr. Diodora, so ihr Klostername, hat zusätzlich zu ihrer künstlerischen Ausbildung noch Theologie und Jura studiert. Sie trägt mittlerweile als Äbtissin Verantwortung für drei Klöster mit mehr als 50 Nonnen.
Piepgras versucht, ihren Lebenslauf und ihre Motivation nachzu- vollziehen. Doch es bleibt beim Besuch. Die beiden Frauen trennen Welten. Und so erfährt man aus dem Buch auch weit mehr über seine Autorin - was sich teilweise recht peinlich liest - als über Diodora. Schade. 

 Prädikat: *

Nafisa Haji: Worte auf meiner Stirn (Droemer)

Wenn die Mutter von Saira und Sameena mit dem Verhalten ihrer Töchter unzufrieden ist, dann erzählt sie den Mädchen Geschichten. Sie berichten, was passiert, wenn man sich nicht so benimmt, wie sich Muslime indisch-pakistanischer Herkunft eigentlich zu be- nehmen hätten - und welch schlimme Folgen das hat. 
Je älter Saira wird, desto mehr fallen ihr gewisse Leerstellen und Widersprüche in den Geschichten auf. Doch erst viel später, auf einer Reise von Los Angeles, wo sie zu Hause ist, zu einer Hochzeit bei Verwandten in Indien, erfährt Saira, dass die Erzählungen ihrer Mutter keineswegs von wildfremden Leuten handeln. 
Den Lebensregeln, an denen sich ihre Familie orientiert, möchte Saira nicht folgen. Die junge Frau entscheidet sich gegen Familien- traditionen, Bindungen und Verpflichtungen - und wird Journalistin. Sie reist um die Welt, und berichtet von Krieg, Hunger und Leid. Das ist zugleich eine Flucht vor den nicht erzählten Geschichten - nicht zuletzt ihrer eigenen.Nafisa Haji erzählt von einer Großfamilie, die den Spagat zwischen Tradition und Moderne bewältigen muss. Das gelingt nicht immer ohne Konflikte und Verletzungen; doch erstaunlicherweise ist letzten Ende der Familiensinn immer stärker als der Ärger. Ihr Roman ist stilistisch brillant, und reicht weit über banale Unterhaltung hinaus. 

Prädikat: ****

Freitag, 11. Juni 2010

Donna Leon: Schöner Schein (Diogenes)

Bei einem Abendessen lernt Commissario Brunetti Franca Marinello kennen, in Venedig auch als "la Superliftata" bekannt. Fasziniert stellt er fest, dass sich hinter den maskenhaften Gesichtszügen ein äußerst wacher Geist verbirgt. Denn die Blondine zitiert Ovid und Cicero, und hat für Brunetti überraschende Lektüre-Tips parat. 
Die könnten durchaus etwas mit einem Fall zu tun haben, dem sich der Commissario mit großer Vorsicht und wachsender Neugier widmet: Ein Sonderbeauftragter der Carabinieri, der andeutet, dass er aufgrund undurchsichtiger Giftmüllgeschäfte ermittelt, bittet Brunetti um Amtshilfe bei der Suche nach einem Mörder - und wird kurze Zeit später selbst ermordet aufgefunden. 
Ganz in der Nähe, in alten Tanks, findet sich zudem ein Chemikalien- lager, das buchstäblich zum Himmel stinkt. Wer der Mann auf dem Foto ist, das findet Brunetti schnell heraus. Aber wie kommt das Gift nach Venedig? Und was hat der geheimnisvolle Unbekannte mit den illegalen Geschäften zu tun?
"Schöner Schein" ist ein Krimi, wie er nur in Italien spielen kann. Donna Leon kennt sich mit der Mentalität der Venezianer und den verschlungenen Wegen der Gerechtigkeit offenbar bestens aus - und hat einmal mehr ein Buch geschrieben, das begeistert. Sie erzählt elegant und subtil; Commissario Brunettis achtzehnter Fall gehört ohne Zweifel zu seinen stärksten. 

Prädikat: ****

Donnerstag, 10. Juni 2010

Jutta Oltmanns: Das Geheimnis der Inselrose (Heyne)

"Junge Frau mit gutem Leumund und einer Ausbildung in den Schönen Künsten für eine Stellung auf der Insel Wangerooge gesucht, die absolute Bindung erfordert." Auch Angehörige seien willkommen, liest Wemke. Nach dem Tode ihrer Eltern sorgt sie nun für ihre kleine Schwester Freya. Der Not gehorchend, hat sie sich als Dienstmädchen verdingt. Doch nun soll die Kinderbetreuung teurer werden, und obendrein kündigt ihr die Vermieterin, weil das nächtliche Kindergeschrei die Nachbarn stört. 
Da bewirbt sie sich um die Stelle - und muss erfahren, dass sie nicht nur als Gesellschafterin arbeiten, sondern obendrein noch den Badearzt heiraten soll. Wemke sieht sich gezwungen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Doch schon sehr bald bricht dieses Kartenhaus zusammen. Denn sie verliebt sich in Jeels van Voss, der auf die Insel kam, um herauszufinden, wer er ist und wer seine Eltern waren. Auf seiner Herkunft aber liegt ein Geheimnis, das bei den Inselbewohnern Misstrauen und Hass heraufbeschwört. 
Ein spannender, gut geschriebener Roman mit einer großen Portion steifer Nordsee-Brise. Man spürt, dass die Autorin Land und Leute liebt. 

Prädikat: **

Iny Lorentz: Dezembersturm (Knaur)

Ostpreußen, 1875: Nur die Tatsache, dass sie ihren Großvater besucht hat, rettet die junge Lore vor dem Feuertod. Ihre Eltern und Geschwister sterben in den Flammen - und den geliebten Großvater trifft der Schlag, als er davon erfährt. Wolfhard Nikolaus von Trettin spürt, dass seine Tage gezählt sind. Und er verwendet seine verbleibende Kraft darauf, zu verhindern, dass sein Neffe, der sich bereits das Gut der Familie unter den Nagel gerissen hat, auch noch den Rest seines Vermögens bekommt. 
Um Lore ein furchtbares Leben im Hause ihrer raffgierigen Ver- wandten zu ersparen, schickt er das Mädchen auf eine lange Reise: Sie soll nach Amerika auswandern. Doch dieses Unterfangen ist gefährlich, wie Lore schon bald feststellen muss.
Ein Schmöker in bester Courths-Mahler-Tradition - mit den typischen Irrungen, Wirrungen und Schurken, einem kleinen Waisenkind aus bester Familie, und selbstverständlich gibt's ein Happy-End. Das Münchner Autorenpaar, das unter dem Pseudonym Iny Lorentz publiziert, beherrscht die Spielregeln des Genres allerdings so perfekt, dass der Leser über das simple Strickmuster gern hinweg- sieht, weil die Ausführung im Detail sehr gelungen ist - und so spannend, dass man das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen mag. 

Prädikat: **

Samstag, 5. Juni 2010

Dick & Felix Francis: Schikanen (Diogenes)

Anwalt Geoffrey Mason wird von einem früheren Mandanten brutal zusammen- geschlagen. Der junge Mann erpresst ihn: Der Jurist soll einen Angeklagten vertei- digen - und den Fall verlieren. Doch dazu hat Mason gleich aus mehreren Gründen wenig Lust. Zum einen sind ihm der Tote und der mutmaßliche Mörder von der Rennbahn bestens bekannt. Denn Anwalt Mason reitet Amateurrennen, wann immer ihm seine Arbeit die Zeit dafür lässt. Der verhaftete Jockey, einer der Favoriten der Saison, ist zwar unsympathisch. Aber dass er einen Kollegen mit der Mistgabel ersticht, das will Mason dann doch nicht glauben. 
Zum anderen hat Mason nachgeforscht - und herausgefunden, was aus Menschen geworden ist, die Forderungen des jugendlichen Schlägers erfüllt haben. Und deshalb bleibt ihm nur die Chance, den wahren Mörder zu finden - und bei dieser Gelegenheit dafür zu sorgen, dass auch der Erpresser möglichst den Rest seiner Tage im Gefängnis verbringt. 
Mit Feuereifer - und auf Krücken - stürzt er sich in Ermittlungen, die ihm schließlich, sozusagen im Fotofinish, vollen Erfolg bei Gericht bringen. Im Gegenzug greift der jugendliche Totschläger Masons Vater an. Das Finale zeigt, dass Intelligenz, gepaart mit Reha-Hilfsmitteln, mitunter doch über dumpfe Brutalität siegt. 
Eine spannende Geschichte, flott erzählt und mit viel Humor. Dieses letzte Buch hat Ex-Jockey Dick Francis gemeinsam mit seinem jüngsten Sohn Felix fertiggestellt. Man darf vermuten, dass Felix Francis versuchen wird, die Bestsellerschmiede auch nach dem Tode seines Vaters weiterzuführen. Auf den nächsten Krimi rings um Pferde und den Rennsport darf man also gespannt sein. 

Prädikat: ****

Sina Beerwald: Das blutrote Parfüm (Knaur)

Amélie ist verliebt. Und gegen den Willen ihrer Eltern heiratet sie Alphonse, den Inhaber einer Parfümerie. Doch die Ehe ist nicht glücklich; immer öfter hält sich der Geschäftsmann bei seiner Geliebten auf. Eines Tages, die Eheleute streiten sich lauthals, wirft Tochter Linnea einen Flakon nach ihrem Vater - und trifft ihn tödlich. 
Amélie packt die teuren Parfümessenzen zusammen, und flieht mit Linnea in die Heimat, auf die Insel Mont-Saint-Michel. Doch auch dort ist nichts mehr, wie es einmal war. Amélie findet ihr Elternhaus verlassen vor. Ihre Schwester ist mit einem gewalttätigen, versoffenen Gastwirt verheiratet, ihr Bruder Abt des Klosters, der Vater tot, und die Mutter als Hexe verschrien und ebenfalls für tot erklärt. 
Die Stadbewohner wollen mit Amélie nichts zu tun haben. Dennoch gelingt es ihr, sich eine erfolgreiche Parfümerie aufzubauen - ein Märchen für alle, die sich nicht daran stören, wenn eine Geschichte immer wieder auf verblüffende Weise Haken schlägt.

Prädikat: *

Christoph Peters: Mitsukos Restaurant (Luchterhand)

Gelegenheitsschauspieler, Aushilfskoch und Verseschmied Achim Wiese, seit seiner Schulzeit fasziniert von der japanischen Kultur, entdeckt bei einem Waldspaziergang im rustikalen Vereinsheim der "Wander- freunde Gurschebach e.V." ein japanisches Restaurant. Gemeinsam mit seinem Jugendfreund Wolf Erben, der mittlerweile als Chirurg in einer nahegelegenen Privat- klinik tätig ist, geht er daran, das Lokal zu erkunden. 
Schon bald ist Achim Stammgast in dem Restaurant, in dem die ebenso schöne wie geheimnisvolle Mitsuko kocht. Und als dort eine Küchenhilfe gesucht wird, heuert Achim an - einerseits, um die Rätsel dieser erstklassigen Küche zu lösen, andererseits, weil er Mitsuko näherkommen möchte. Die aber gedenkt, ihren ältlichen Geschäfts- und Lebenpartner Eugen zu heiraten. Und um die Verwirrung auf die Spitze zu treiben, beginnt in dem Restaurant auch noch die kapri- ziöse Chinesin Yun Tsi als Bedienung. 
Christoph Peters gibt sich viel Mühe, eine interkulturelle Komödie zu inszenieren, die er obendrein mit einer Geschichte aus dem alten Japan hinterlegt. Sie berichtet von der Erschaffung einer Teeschale, der Narbenprinzessin - und von Strukturen, in denen jede Beziehung, jede Geste, jeder Schritt klar geregelt sind. 

Prädikat: **

Vilmos Kondor: Der leise Tod (Knaur)

Budapest, 1936: Polizeireporter Zsigmond Gordon steht vor der Leiche einer auffallend hübschen jungen Frau, offenbar aus besserem Hause. In ihrem Taschen findet sich lediglich ein jüdisches Gebetbuch. Es gibt aber keinen Hinweis auf die Identität der Toten. Niemand vermisst sie, und auch Gordon würde sich wohl nicht den Kopf darüber zerbrechen, wer sie ist und warum sie zu Tode gekommen ist, wenn er nicht erst vor kurzem im Büro des Chef-Kriminal- inspektors gut versteckte Aktfotos des Mädchens entdeckt hätte. 
Der erste Kriminalroman von Vilmos Kondor zeichnet ein authen- tisches Bild der ungarischen Gesellschaft in den 30er Jahren. Der Leser erlebt Politiker und Unternehmer, die sich für Hitler begeistern - und andere, die um ihr Leben fürchten und sich in aller Stille auf das Exil vorbereiten. Er beobachtet Kriminelle, die sich frech in den Dienst der Politik begeben, und glauben, damit unantastbar zu werden. Gordon gerät unter Druck. Das aber macht ihn erst recht neugierig. Was er herausfindet, das ist wenig erfreulich - doch am Ende sorgt er dafür, dass auch die Täter ihr Leben verlieren. Ob das Gerechtigkeit ist, das mag der Leser selber entscheiden. 

Prädikat: ****

Martin Walker: Bruno, Chef de police (Diogenes)

Bruno, chef de police in Saint-Denis, vertreibt sich üblicherweise die Zeit damit, das örtliche Marktvolk vor EU-Kontrolleuren zu beschützen und die Jugend des Ortes im Tennis und im Rugby zu trainieren. Die Gemeinde ist nicht groß. Man kennt sich, und man weiß, was man voneinander zu halten hat - das jedenfalls denkt auch Brunos Vorgesetzter, der Bürgermeister. 
Doch dann wird ein alter Mann tot auf- gefunden, und die Idylle droht zu zerbre- chen. Denn der Tote ist ein algerischer Einwanderer, Kriegsveteran und Träger des Croix de Guerre - und seine Mörder haben ihm ein Hakenkreuz in die Brust geschnitten. Das gibt Ärger, da sowohl die Neonazis als auch die Linken versuchen, dieses Ereignis für ihre Propaganda zu nutzen. Die police nationale übernimmt den Fall, und aus Paris kommt ein schneidiger Jungstaatsanwalt, um die Untersuchungen zu leiten. 
Der schottische Autor Martin Walker hat eine Kriminalkomödie geschrieben, wie sie wohl nur in Frankreich möglich ist. Dabei wird durchaus ernsthaft ermittelt. Und die Spuren führen in die Vergangenheit; es stellt sich heraus, dass der Tote in der Region keineswegs so unbekannt war, wie zunächst angenommen. Walkers sympatischer Held findet schon bald die Täter - doch auch der Umgang mit seinen Erkenntnissen ist landestypisch. Ein großartiger Krimi, mit sehr viel Flair. 

Prädikat: ***

Freitag, 4. Juni 2010

Lena Johannson: Die Bernsteinheilerin (Knaur)

Die kleine Johanna wächst wohlbehütet bei ihren Großeltern auf. Über ihre Mutter weiß sie nur, dass sie wenige Tage nach ihrer Geburt gestorben ist, und dass sie ihr einen geheimnisvollen Anhänger aus Bernstein hinterlassen hat. Der Vater ist ihr nicht einmal namentlich bekannt. 
Johanna älter wird, lassen die Großeltern sie zur Bernsteinschnitzerin ausbilden. Doch anders als ihre Mutter Femke hat sie dazu kein Talent, und außerdem will sie absolut nicht verstehen, warum sie als Tochter aus besserem Hause eine Handwerkslehre absolvieren soll. Nach dem Tode ihrer Großeltern aber stellt sie erschrocken fest, dass sie arm ist wie eine Kirchen- maus - und dass nicht alle Mitmenschen so vertrauenswürdig sind, wie sie sich nach außen geben. 
Johanna begibt sich auf die Suche nach ihren Eltern, und findet dabei ihren Platz und ihre Berufung. Ein gut geschriebener Historienroman, der das Leben in der Hansestadt Lübeck zu Beginn des 19. Jahrhun- derts schildert.

Prädikat: ***

Val McDermid: Nacht unter Tag (Knaur)

Mehr als zwanzig Jahre nach seinem Verschwinden meldet die Tochter von Mick Prentice ihren Vater als vermisst. Sie sucht nach einem Knochenmarkspender für ihr schwerkrankes Kind - und der Vater ist ihre letzte Hoffnung. Doch als Detective Inspector Karen Pirie nachforscht, gibt sich die Familie des Bergarbeiters erstaunlich schweigsam.
Und noch ein alter Fall gerät in den Blick der Ermittler: Die Tochter eines stein- reichen Unternehmers wurde seinerzeit entführt, zusammen mit ihrem Baby. Eine Boulevard-Journalistin findet durch Zufall in Italien eine Spur; der Baulöwe engagiert sie, um zu verhindern, dass sie über die Familientragödie berichtet. 
Und zugleich sorgt er dafür, dass die Polizei die Ermittlungen wieder aufnimmt. Je mehr aber Pirie herausfindet, desto rätselhafter erscheint die Geschichte. Die Spuren laufen zusammen - doch was hat das Verschwinden von Gewerkschaftern mit dem einer engagierten jungen Künstlerin aus bestem Hause zu tun? Ein gut geschriebener Krimi, der bis zum Finale spannend bleibt.

Prädikat: ***

Donnerstag, 3. Juni 2010

Simone Buchholz: Knastpralinen (Droemer)

Sommer in Hamburg. Immer wieder wird Staatsanwältin Chastity Riley an die Elbe gerufen, weil dort Männerfüße gefunden werden. Der Rest bleibt verschwunden. Ein merkwürdiger Fall, denn die Toten werden eigentlich von keinem vermisst. Das hat einen so guten Grund, dass Riley sich bald fragt, ob sie den Täter wirklich finden möchte. 
Simone Buchholz hat erneut einen enorm stimmungsvollen St.-Pauli-Krimi mit viel Lokalkolorit geschrieben - und zum Schluss gibt's natürlich, wie in dem Genre üblich, eine Überraschung.

Prädikat: ***

Angus Donald: Der Barde (Knaur)

Ein Junge, der vom Sheriff gejagt wird, weil er beim Stehlen erwischt wurde, sieht im mittelalterlichen Sherwood nur eine Chance, dem Galgen zu entkommen: Der kleine Alan wird Mitglied der Bande von Robin Hood. Der Räuber erkennt schnell, wen er da aufgesammelt hat - denn Alans Vater war ein berühmter Sänger. Das hinderte freilich die Schergen seines Herrn nicht daran, ihn zu hängen. Robin Hood lässt den Sohn nicht nur im Kampf, sondern auch als Barde ausbilden. Denn so erhält er Zugang zu den allerhöchsten Kreisen - und kann dem Räuber als Spion dienen.
So kämpft er nicht nur gemeinsam mit Robin Hood, er erfährt auch, wie dessen Geschichte endet. Angus Donald hat es in seinem historischen Roman spannend und schlüssig aufgeschrieben. 

Prädikat: ***

Mittwoch, 2. Juni 2010

Meir Shalev: Aller Anfang (Diogenes)

Im Anfang war bekanntlich das Wort. Doch auch sonst ist die Bibel voll von Anfängen. Der israelische Autor Meir Shalev, von Haus aus Psychologe, hat das Buch danach durchforstet - und eine Menge interessanter Fragen gefunden. 
Wer beispielsweise träumt den ersten Traum, von dem uns in der Bibel berichtet wird? Und wer stirbt als erster? Wer weint die ersten Tränen, wer vergibt den ersten Kuss? An welcher Stelle verwendet das Buch zum ersten Mal das Verb "lieben"? Überraschung garantiert. (Kleiner Hinweis vorweg? Genesis 22,2.) Und wo zeigt es erstmals eine Frau als Liebende? Katastrophe! denn der Ärmsten ergeht es schlecht. Die Antworten auf all diese Fragen verblüffen. 
Shalev erzählt über die Tiere in der Bibel. Er berichtet über Berufe - und ganz besonders ausführlich über den des Spions. Er forscht nach dem ersten König, dem ersten Propheten und dem ersten Gesetz. So erschließt er einen spannenden und spannungsvollen Zugang zum Buch der Bücher. Shalev erzählt die archaischen Geschichten aus der Distanz der Geschichte und der Analyse. Man schüttelt den Kopf über die brutale Welt ihrer Helden - und findet diese Kultur, auf der ja auch unsere aufbaut, meistens ziemlich unsympathisch.

Prädikat: ****

Jen Lin-Liu: Nudeln für das Volk (Knaur)

Die junge amerikanische Autorin Jen Lin-Liu will das Land kennenlernen, aus dem ihre Eltern einst gekommen sind. Neugierig reist sie nach China - und taucht dort ein in eine völlig fremde Kultur. Schon bald stellt sie fest, dass die chinesische Küche ihr einen Schlüssel zu dieser unbekannten Welt bietet. Und so beginnt sie eine Ausbildung in einer Kochschule, die sie dann anschließend durch die Mitarbeit in den regional sowie vom Anspruch her unterschiedlichsten Küchen ergänzt. 
Auch dem europäischen Leser eröffnet Lin-Liu damit schrittweise einen Zugang zur chinesischen Kultur. Beim Lesen ist man zunehmend fasziniert von ihren Beobachtungen; ich muss ehrlich gestehen, dass ich aus keinem anderen Buch so viel über das Land der Mitte erfahren und gelernt habe.

Prädikat: ****